Jugend, Made in Germany
- ISBN-Nr.: 3-937669-35-3
Beschreibung
„Bernd Lasdin hat sowohl das Licht als auch das Erwachsenwerden für einen Moment angehalten. Momentaufnahmen mit Zigaretten, Fernbedienungen, Mobiltelefonen, Medaillen, Freundinnen und Freunden sind entstanden; Momentaufnahmen mit versteckten Überraschungen, dem Kuss auf einem Fernsehbildschirm, dem Satz auf einem T-Shirt, dem kaum erkenntlichen Gegenstand in einer Glasvitrine... Die Detailfülle verführt dazu, die Bilder immer genauer zu betrachten: Unglaublich, was für ein Unterschied besteht zwischen den komplett eingerichteten Wohnzimmern, in denen alle Spuren der Kindheit eliminiert scheinen, und den noch halben Kinderzimmern, in denen der Betrachter Poster von Harry Potter und Eminem sieht und beginnt, wie ein Archäologe, den Entdeckungen bestimmte Zeiten zuzuordnen. In den Bildern treffen auch in den Handschriften verschiedene Welten auf kleinstem Raum aufeinander. Die Themen, von denen diese Handschriften erzählen, zeigen, dass es die Jugend ebenso wenig gibt, wie die Erwachsenen – viel zu unterschiedlich sind die Texte, erzählen von Spaß, Träumen, Selbstmord, Mord, Kinder kriegen und die Welt sehen, Drogen und Sport, von links und rechts, von Ost und West, davon, dass nichts für die Ewigkeit ist.“
Presse
Quelle: OTZ - Ostthüringer Zeitung | Februar 2008 | Stefanie Grießbach
Mit dem Leben zurechtkommen
Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt zeigt Fotoserie „Jugend − made in Germany“ von Bernd Lasdin
Traurig guckt Martin seinem Betrachter entgegen. Martin ist 18 Jahre alt und Frührentner. Er findet es „scheiße“, dass die Stadt das Jugendzentrum geschlossen hat. Und „richtig scheiße” findet er, dass sich die Leute jetzt aufregen, weil die Jugendlichen auf den Treppen des Einkaufszentrums sitzen. Resigniert, hoffnungslos, abweisend. Vereinzelt selbstbewusst, freudig, erwartungsvoll. So schauen deutsche Jugendliche auf ihre Gegenwart und in die Zukunft. Bernd Lasdin fotografierte junge Menschen im Alter zwischen 14 und 30 Jahren aus allen Schichten in ihrer Wohnung oder an ihren Lieblingsplätzen in Mecklenburg- Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bayern, Hamburg und Berlin und ließ sie ihre Gedanken aufschreiben. 100 handschriftlich kommentierte Porträts aus seiner jüngsten Serie „Jugend made in Germany” sind im Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt bis 20. April zu sehen. Die jungen Menschen wissen viel über Freundschaft, Einsamkeit, Wut. „Wir teilen alles bis auf die Frauen”, schreiben die Schauspieler Oliver und Volker optimistisch. Der eine sitzt auf dem Klo, der andere steht unter der Dusche. „Leute, passt gut auf Eure Mitmenschen auf! Hört Ihnen zu!” bittet Andreas, 19, Azubi. An seiner Seite sitzt Hündin Hel, sie gehörte einst seinem Freund, der sich völlig unerwartet kurz vor Weihnachten das Leben genommen hatte. Franziska, 15, Schülerin, fragt provokativ: „Was tut der Staat für unsere Jugend?” Und Bianca, 23, ist der Meinung, „um in Deutschland ein gutes Leben führen zu können, muss man Politiker sein”. Die Porträtierten offenbaren Wünsche, Träume, Hoffnungen und Pläne, aber auch ihre schon belastete Vergangenheit, Angst und fehlendes Vertrauen. Lasdin fotografiert Familien, Auszubildende, Punks, Frührentner, Neonazis, Gesunde, Kranke, Schwangere, Studierende, Grufties, Obdachlose, junge Alkoholiker und Drogenabhängige, deren Aussichten zwischen völliger Perspektivlosigkeit bis zum „Mir liegt die Welt zu Füßen” Feeling reicht. Auch das abgelichtete Umfeld weist auf soziale Unterschiede, da gibt es geborgene Räume, eine gemütliche Couch, ein schönes Klavier, aber auch Orte, karg, kalt, leer, die alles andere als hoffnungsfroh stimmen. Der Zeitgeist der Jugend zeichnet sich von Porträt zu Porträt immer markanter und immer differenzierter ab. Lasdin macht die Gedanken sichtbar, die von poetisch bis derb, von links bis rechts, von selbstbewusst bis selbstzerstört reichen. Manche Schicksale sind kaum fassbar. Manuel, 22, sitzt wegen Versuchten Mordes und sieht für sich keine geordnete Zukunft nach dem Knast. Viele der Porträtierten wollen zunächst erst einmal mit dem Leben zurechtkommen. Auf der Wunschliste ganz oben steht „Arbeit!” Viele sind einfach nur gespannt, was die Zukunft bringt. „Egal, ob Glück oder Leid, Liebe oder Hass, Erfolg oder Pech, sie ist es wert, gemeistert zu werden”, findet Tobias, 17, Gymnasiast erfrischend positiv. Sport ist wichtig. „Motorsport ist meine Welt”, schreibt Ralf, 19, Weltrekordhalter im Motorradweitsprung. Viele hören gern Musik oder gehen gern mit Freunden aus. Julia, 16, will Abitur machen, studieren, Arbeit finden und eine Familie gründen, „ganz normal eben”. Die 16-jährige Gymnasiastin Susanne dankt ihrem Vater, der ihr die Ausbildung an einem Privatinternat ermöglicht. Lasdins Wechsel von Porträt und Selbstreflexion erreicht eine bewegte Darstellung, die in ihrer Tiefe und Vielschichtigkeit beeindruckt, in ihrer Aussage eher erschüttert. Seine Bilder erstaunen durch bemerkenswerte Gedankengänge und Gefühlsregungen, die von den Wandlungen unserer modernen Epoche geprägt sind. Bernd Lasdin wurde 1951 in Neubrandenburg geboren, arbeitete nach Fotografenlehre und Abitur als Bildreporter bei einer Tageszeitung. In den 80er Jahren studierte er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Professor Arno Fischer. Seit 1988 ist er freiberuflich als Fotograf tätig. 2005 wurde er zur Fotopersönlichkeit des Jahres auf den 7. Internationalen Fototagen in Mannheim-Ludwigshafen ausgezeichnet. Es bedarf keiner großen Weitsicht um festzustellen, dass der größere Teil der Jugend, die Lasdin fotografiert hat, Wohlstandswelten wie edle Markenkleidung oder Privatschulen nicht kennt. „Man muss aus jedem Tag des Lebens das Beste machen”, schreibt Florian, 15. Klingt gut in der Theorie, aber in der Praxis schwierig durchführbar, ohne Lehrstelle, ohne Arbeit, ohne Perspektive, und noch nicht einmal einen Platz zur Verfügung, an dem man sich mit Freunden treffen kann, ohne gleich auf Ablehnung zu stoßen. [Artikel anzeigen]